Mikroplastik: die unsichtbare Gefahr

Unser Umgang mit Plastik vergiftet den Planeten rasant – und nahezu unbemerkt

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Sie sind fast nicht sichtbar, unerwünscht, aber omnipräsent: mikroskopisch kleine Plastikpartikel, das sogenannte Mikroplastik. Lange Zeit blieb das Problem unbeachtet, plötzlich aber bringt die Wissenschaft Beunruhigendes ans Licht: Die Menschheit ist gerade dabei, den Planeten zu vergiften. Und nebenbei sich selbst gleich mit.

Von Mikroplastik spricht man bei Kunststoff-teilchen, die kleiner als einen halben Zentimeter sind. Allerdings sind jene Teilchen in der Überzahl, die nur mittels eines Mikroskops nachweisbar sind – Mikrometer winzig, tausendstel Millimeter also. Ihre Wirkung auf den menschlichen Organismus ist noch weitgehend unerforscht. Klar ist immerhin: Wir haben Plastik im Blut.

Aus Böden und Meeren gelangt das Plastik in den Körper

Das meiste Mikroplastik entsteht im Meer: Größere Plastikteile werden durch die Einwirkung von Wind, Wellen, Salz und UV-Strahlen zersetzt. Jede Minute landet eine Tonne Plastik in den Ozeanen. Im Pazifik bedeckt ein Kunststoffstrudel vor Hawaii die Fläche von rund 1,6 Millionen Quadratkilometern – viermal so groß wie Deutschland. Solche Strudel kreisen auch in der Saragossasee, im Indischen Ozean, im Südatlantik und im Südpazifik. Das zersetzte Plastik bleibt aber nicht im Ozean: Fische und andere Meerestiere nehmen es auf – und landen schließlich in unserem Magen.

Auch die Industrie bringt eine Flut von Mikroplastik-Teilchen in den Verkehr: Granulate, gelartige Kügelchen oder flüssige Kunststoffe werden Kosmetik-Produkten, Reinigern oder Farben beigemischt, um die Eigenschaften der Prdukte zu verändern. Nach einer Fraunhofer-Studie entstehen pro Jahr in Deutschland 330.000 Tonnen Mikroplastik-Partikel – gut vier Kilogramm pro Kopf. Die größte Quelle bildet dabei der Abrieb von Autoreifen.

Mikroplastik entsteht auch im Haushalt

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Aber auch wir überschwemmen jeden Tag unbemerkt die Umwelt mit Mikroplastik: Beim Waschen lösen sich aus unseren Sachen Tausende Mikrofasern und gelangen ber das Abwasser in die Kläranlagen. Mit em Klärschlamm gelangt dieses Mikroplastik als Dünger auf die Felder und so in unsere Böden. Sogar das Laufen verursacht Mikroplastik: Statistisch gesehen beträgt der Abrieb von Kunststoffsohlen pro Kopf in Deutschland 107 Gramm dieser Kleinstpartikel. Aus den Böden ist dann der Weg in unseren Körper vorprogrammiert: Pflanzen nehmen nicht nur Nährstoffe auf, sondern auch Mikroplastik.

Dienen die Pflanzen als Tierfutter, reichern sie sich im Schwein oder im Rind an und gelangen dann auf unseren Tisch. Forscher der Universität Wien fanden im Mittel 20 Mikroplastikteilchen pro 10 Gramm Stuhlgang und dabei neun verschiedene Arten. Die Häufigsten waren Polypropylen (PP) und Polyethylenterephthalat (PET). PP wird vor allem in der Verpackungsindustrie eingesetzt. PET ist der Stoff, aus dem die meisten Getränkeflaschen hergestellt sind. Studien deuten drauf hin, dass Krebserkrankungen, Fettleibigkeit und Unfruchtbarkeit auf solche Mikroteilchen zurückzuführen sind. In unserem Mineralwasser wurden von der Stiftung Warentest mehr als 100 Teile Mikroplastik je Liter gefunden. Sogar im Trinkwasser aus der Leitung wurde Mikroplastik nachgewiesen Weltweit werden derzeit über 280 Millionen Tonnen Plastik jedes Jahr neu hergestellt, 19,5 Millionen davon allein in Deutschland.

Die Recycling-Lüge

Zwar trennen die meisten von uns brav ihren Müll. Aber wir sind der Recycling-Lüge aufgesessen: Dosen aus Metall werden mit Plastik beschichtet und so unrecycelbar. Papiertaschentücher verrotten jahrelang nicht, weil ihnen ein Kunststoff als Bindemittel beigemischt wurde. Ein einziger Joghurtbecher kann bis zu 600 verschiedene Chemikalien enthalten, weil er leicht und billig sein soll: Dieser Mix ist nicht recycelbar. Ein großes Problem ist PVC, das immer noch zwei Prozent des Plastiks von Verpackungen ausmacht. Weil es genau die gleiche Dichte wie PET hat, lassen sich beide Materialien nicht gut trennen. Also kann man sie auch nicht recyceln. Nach einer Erhebung der Bündnisgrünen werden in Deutschland lediglich 17,3 Prozent des Plastikabfalls tatsächlich wiederverwertet.

Entsprechend wachsen die Müllberge. Greenpeace untersuchte die Müllentsorgung in Vietnam, Thailand und Malaysia. Ergebnis: Nicht nur mit dem eigenen Müll sind diese Länder überfordert. Sie importieren auch noch Müll aus Deutschland und anderen Wohlstandsstaaten. Ein Plastikdeckel „Libell – der Brotaufstrich für die ganze Familie“ ist auf südostasiatischen Müllkippen genauso dokumentiert, wie die Plastiktüte der „Nahrungsmittel GmbH“. Forscher*innen haben jetzt erstmals den gesamten Atlantik von Norden nach Süden auf Mikroplastik hin untersucht. Die Analysen ergaben, dass allein in den oberen 200 Metern Wasser 12 bis 21 Millionen Tonnen Plastikpartikel der drei häufigsten Plastiksorten herumschwimmen. Der größte Teil dieses Mikroplastiks ist kleiner als 100 Mikrometer und daher weitgehend “unsichtbar”.

Sechsmal mehr Plastik als Plankton

Die Wissenschaftler schätzen, dass das wahre Ausmaß der Plastikverschmutzung weit größer sein könnte als bislang angenommen. Es gibt mittlerweile sechsmal mehr Plastik als Plankton im Meer. Selbst in der Antarktis, in Tiefseegräben und anderen entlegenen Gebieten sind inzwischen Plastikreste zu finden. „Die Menge und Verteilung dieses Mikroplastiks, vor allem unterhalb der Größe von 250 Mikrometern, ist aber bislang nahezu unbekannt“, erklären Katsiaryna Pabortsava und Richard Lampitt vom National Oceanography Centre in Southampton.

Wir nutzen einfach zu viel Plastik. Wir gehen zu sorglos damit um. Und wir sind dabei, die Erde zu vergiften: Einmal in die Umwelt gelangt, lässt sich Mikroplastik nicht wieder einsammeln. Immerhin: Die Europäische Union hat das Problem erkannt. Derzeit erarbeitet sie einen Gesetzentwurf, der die Gefahren zumindest bannen soll. Allerdings ist nicht damit zu rechnen, dass Beschränkungen vor dem Jahr 2022 in Kraft treten. Und es steht zu befürchten, dass die Lobbyist*innen den Entwurf der EU-Chemikalienagentur ECHA weiter verwässern werden.

Rat gibt es in dem Artikel 44 Tipps, um Plastik aus dem Alltag zu verbannen. Anfangs wird es sicherlich schwer werden, auch nur einige davon zu befolgen. Nach und nach wird man aber merken: Es geht auch ohne Plastik. Und: Das plastikfreie Leben macht ja Spaß!

Nick Reimer