Jeden Tag wird Bodenfläche versiegelt – so groß wie 100 Fußballfelder
Das Ziel war durchaus ambitioniert. Im Jahr 2002 verpflichtete sich die Bundesregierung durch ihre „Nationale Nachhaltigkeitsstrategie“, den Flächenverbrauch drastisch zurückzufahren. In Deutschland wurden damals jeden Tag 130 Hektar Grünland für neue Siedlungs- oder Verkehrsflächen zubetoniert. Zur besseren Vorstellung: Das sind etwa 180 Fußballfelder.
180 Fußballfelder, die jeden Tag zubetoniert wurden. Machte 65.700 im Jahr. Wobei „Fußball“ nach Rasen klingt. Es ging aber um Beton und Teer. Die „Nationale Nachhaltigkeitsstrategie“ von 2002 gab das Ziel aus, im Jahr 2020 höchstens noch 30 Hektar pro Tag zu versiegeln. Also immer noch 42 Fußballfelder. Aber immerhin.
Die damalige Begründung war überzeugend: Die Inanspruchnahme des Bodens für Siedlungs- und Verkehrszwecke und die damit einhergehende Bodenversiegelung führen zum Verlust ökologisch wichtiger Funktionen des Bodens: Er geht als Lebensraum verloren, kann Regenwasser nicht mehr aufnehmen und steht auch für die landwirtschaftliche Produktion nicht mehr zur Verfügung.
Sind 71 Hektar pro Tag eine Verbesserung?
Die Zerschneidung und Zersiedelung der Landschaft teilt auch Lebensräume von Tieren und Pflanzen. Siedlungsbänder, Leitungstrassen, Straßen oder Bahntrassen können für Tiere und Pflanzen zu unüberwindbaren Barrieren werden, die dann den genetischen Austausch zwischen Populationen vollständig unterbinden. Zudem verursachen neue Straßen und Siedlungen im Außenbereich auch mehr Verkehr und laufende Kosten für die Infrastruktur.
Hat die Regierung ihrem 2002 formulierten Ziel Taten folgen lassen? Nicht wirklich. Die Neuinanspruchnahme von Flächen für Siedlungen und Verkehr lag im Vier-Jahres- Mittel von 2010 bis 2013 bei circa 73 Hektar pro Tag, für das Jahr 2013 waren es circa 71 Hektar. Damit hat sich laut Bundesregierung die Lage aber bereits erheblich verbessert.
Wirklich? 30 Hektar sind das Ziel und vier Jahre vor Zieleinlauf sind mehr als doppelt so viel „eine bereits erheblich verbesserte“ Lage? Erhellend ist die Antwort auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag: „Allerdings erscheint keineswegs gesichert, dass sich dieser Trend in den nächsten Jahren automatisch bis auf 30 Hektar pro Tag fortsetzt.“
Nach Modellrechnungen wird es von heute an bei einer Neuinanspruchnahme von etwa 64 Hektar pro Tag bleiben. Das wären immer noch fast 90 versiegelte Fußballfelder. Tagtäglich! Auch bis zum Jahr 2025 würden sich kaum weitere Reduktionen ergeben. Dabei gibt es sogar noch bauliche Nutzungen, die nicht in die Flächenstatistik aufgenommen werden – etwa Windräder oder Solarfreiflächenanlagen, Sandgruben und Tagebaue, die nicht als Siedlungs- und Verkehrsfläche gezählt werden.
Die „vierte Fruchtfolge“ verspricht Profit
Ist Deutschland damit bei einem wesentlichen Baustein seiner „Nachhaltigkeitsstrategie“ gescheitert? Die Zweifel an der Realisierung des 30-Hektar-Zieles hatte der „Rat für nachhaltige Entwicklung“ schon 2007 formuliert. Denn es geht um den Profit: „Das Problem besteht im Wesentlichen darin, dass eine dreidimensionale Nutzung des Raumes wesentlich größere Erträge verspricht als eine zweidimensionale. Wenn Ackerland zu Bauland wird, dann ‚rollt der Rubel‘ und Grundstückspreise können sich verzehnfachen.“ Früher nannte man das die „vierte Fruchtfolge“.
Es sollte niemanden beruhigen, dass es in anderen Ländern kaum besser aussieht: „Die Bundesregierung beobachtet weltweit eine zunehmende Nachfrage nach Land. Die Verstädterung, Intensivierung der globalen Landwirtschaft und der Auf- und Ausbau der Infrastrukturen schreiten weltweit voran. Gleichzeitig nehmen soziale Konflikte um die Landnutzung zu.“ Wie wäre es also mit einer besseren Politik der deutschen Bundesregierung gegen die Versiegelung des Bodens?
Eckart Kuhlwein, Bundesfachbereichsvorstand Naturschutz, Umwelt und Sanfter Tourismus
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in NATURFREUNDiN 3-2015