Wanderleiterin Brigitte von Oertzen hat den nachhaltigen Tourismus gleichsam zum Beruf gemacht. Daheim in Berlin bietet die aktive NaturFreundin unter dem Motto „Wandern mit Brigitte“ Stadtwanderungen für Frauen an und macht die zahlreichen Natura-2000-Schutzgebiete in oder bei der Hauptstadt Besucherinnen bekannt. „Start- und Endpunkt unserer Touren sind stets gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar“, sagt sie. Außerdem organisiert Brigitte Wanderreisen ins Naturfreundehaus Freibergsee (M 60). Das liegt zwar am Rande von Oberstdorf im Allgäu, wird aber seit drei Jahren von den Berliner NaturFreunden möglichst nachhaltig betrieben.
„Zu einem nachhaltigen Urlaub gehört vor allem eine klimaschonende Anreise“, sagt von Oertzen. Gut sechseinhalb Stunden dauert die Zugfahrt vom Berliner Hauptbahnhof bis Oberstdorf. Dort fährt alle zehn Minuten ein Bus, der nach weiteren zehn Minuten am Wanderweg zum Naturfreundehaus ankommt. „Die NaturFreund*innen aus Berlin kommen fast alle mit dem Zug“, berichtet Brigitte. Gerade NaturFreund*innen aus Süddeutschland, die es nicht so weit hätten, reisten aber oft mit dem Auto an: „Manche sind dann enttäuscht, dass sie nicht direkt bis zum Haus fahren können, sondern wie alle die letzten zwei Kilometer zu Fuß gehen müssen.“
Hüttenwirtschaft mit Ausnahmegenehmigung
Das Haus Freibergsee liegt auf gut 1.000 Meter Höhe umrahmt von Rubihorn, Nebelhorn, Fellhorn und Söllereck mitten im Landschaftsschutzgebiet. Nur die Hüttenwirtschaft hat eine Ausnahmegenehmigung und darf für die Versorgung mit Lebensmitteln oder für Sammeltransporte von Gästegepäck mit dem Auto direkt bis zum Haus fahren. In den Augen von Brigitte reisen Gäste oft mit zu viel Gepäck an. „Gerade junge Menschen sind häufig mit einem großen Rollkoffer unterwegs, obwohl der Rucksack für eine Wanderreise ausreicht“, sagt sie. Brigitte gehört zum Bundeslehrteam Wandern und bietet in Oberstdorf auch Fortbildungen für Wanderleiter* innen an.
www.naturfreundin.naturfreunde.de
Die nachhaltige Verpflegung, die im Naturfreundehaus unweit des Freibergsees den Gästen serviert wird, löst nicht immer Begeisterung aus. Auf dem Speiseplan steht eine fleischarme Verpflegung möglichst aus regional und saisonal verfügbaren Biolebensmitteln. Obwohl Mediziner*innen mit Blick auf die Gesundheit und Klimaforscher*innen mit Blick auf die Sicherung der Nahrungsmittelversorgung gleichermaßen eine Reduktion des hiesigen Fleischkonsums auf ein Viertel bis ein Fünftel des heute Üblichen empfehlen, murren Gäste hin und wieder über die fleischarme Kost. „Dabei ist ein Wanderurlaub in schöner Umgebung eine gute Gelegenheit, mehr für die eigene Gesundheit zu tun“, sagt Brigitte.
Drei Viertel der Treibhausgasemissionen eines Urlaubs entfallen im Schnitt auf den Verkehr, auf die An- und Abreise und die Bewegungen am Urlaubsort. Ferien im Naturfreundehaus schneiden hier wirklich gut ab. Die Häuser in Deutschland sind in aller Regel mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar und die Wege im Urlaub legen NaturFreund* innen regelmäßig mit eigener Muskelkraft zurück. Für eine Klimabilanz zählt aber auch der Energieverbrauch der Unterkunft. Am Freibergsee sorgt noch eine Ölheizung für die Wärme im Winter und das ist leider keine Ausnahme. Kaum ein Naturfreundehaus ist energetisch saniert und wird zu zwei Dritteln mit erneuerbaren Energien beheizt, wie es für alle neu eingebauten Heizungen in einigen Jahren gesetzlich Pflicht wird.
In vielen Häusern gibt es bereits seit Jahren „konkrete Überlegungen, die energetische Sanierung anzugehen“, wie der Sprecher der Bundesfachgruppe Naturfreundehäuser Stephan Schenk sagt. Pläne und Vorhaben können aus den Überlegungen aber erst entstehen, wenn die Art und Höhe der Förderung feststehen. Aus eigener Kraft kann kaum ein Haus größere Summen investieren. „Als gemeinnützige Betriebe dürfen wir keine Gewinne machen und auch kein Kapital für grundlegende Modernisierungen ansammeln“, sagt Schenk. Nur im Nordwesten Göttingens haben die dortigen NaturFreunde von 1995 bis 1998 selbst in Eigenarbeit ein Nullenergiehaus errichtet. Allerdings wurde das Naturfreundehaus Auf dem Hagen (E 1) danach ausschließlich als Veranstaltungshaus genutzt.
Punkte für ein Nachhaltigkeits-Siegel
Die NaturFreunde haben sich bereits 2001 als „Verband für Nachhaltigkeit“ definiert. Das „Leitbild Nachhaltigkeit“, das der Bundeskongress in Mannheim 2008 beschlossen hat, empfiehlt unter anderem „eine nachhaltige Gestaltung von Naturfreundehäusern und ihrer Bewirtschaftung“. Darauf beruft sich seither eine Gruppe von 19 Naturfreundehäusern, die sich zum Projekt 19 oder kurz „P19“ zusammengeschlossen haben. Die Gruppe trifft sich jährlich, um „Schritt für Schritt in Richtung mehr Nachhaltigkeit in Naturfreundehäusern“ zu gehen. Das Projekt 19 will zukunftsweisende Nutzungs- und Finanzierungskonzepte entwickeln und die Marke „Naturfreundehaus“ stärken und dabei „nachhaltig wirtschaften und Nachhaltigkeit praktizieren“.
Derzeit erarbeitet P19 als Arbeitsgruppe im Auftrag der Bundesfachgruppe Häuser einen Kriterienkatalog für „Nachhaltige Naturfreundehäuser“. Dessen Entwurf enthält bislang fünf Basiskriterien, die in jedem Fall erfüllt sein müssen. Zu den Basiskriterien zählt etwa, dass das Naturfreundehaus nicht gewinnmaximierend, sondern gemeinwohlorientiert arbeitet, alle gesetzlichen Vorgaben einhält, über die Erfüllung von Nachhaltigkeitskriterien öffentlich informiert und entsprechende Kontrollen ermöglicht.
Zudem enthält der Katalog 39 Punktekriterien, für deren Erfüllung jeweils ein bis sechs Punkte vergeben werden sollen. Insgesamt acht Punktekriterien befassen sich mit der Ernährung. Häuser sollen möglichst fleischarme Kost aus Biolebensmitteln servieren, zum Teil auch fair gehandelte Produkte anbieten, Verschwendung von Lebensmitteln vermeiden und nachhaltige Ernährung auch zum Thema machen. Maximal sind so zusammen 24 Punkte erreichbar.
Weitere zehn Punktekriterien mit zusammen 20 erreichbaren Punkten beschreiben in dem Entwurf einen nachhaltigen Umgang mit Mitarbeitenden. Weitere Kriterien betreffen etwa den Umgang mit Müll, eigene Naturschutzmaßnahmen, den Einsatz von Reinigungsmitteln, die Wasser- und Energieversorgung sowie Bausubstanz, Ausstattung und Erreichbarkeit der Häuser. In allen Kategorien zusammen könnten Häuser genau 100 Punkte holen. Für das geplante Nachhaltigkeitssiegel sollen aber bereits 75 Punkte ausreichen. Für Häuser ohne Mitarbeitende oder ohne Verpflegungsangebot sollen die erreichbaren Punktzahlen und auch die Schwellenwerte für das Siegel niedriger liegen.
Die Arbeitsgruppe der Bundesfachgruppe Häuser will noch genauere Erläuterungen zu dem Kriterienkatalog formulieren. „Der Katalog soll dann im Juni auf der Sitzung der Bundesfachgruppe beschlossen werden“, sagt Stephan Schenk. Auch als Hüttenwart des Rahnenhofes (K 9) im Pfälzerwald bemüht sich Schenk um Nachhaltigkeit. Das Naturfreundehaus mit 102 Betten gewährt jedem Gast, der sein Auto daheimlässt und mit dem öffentlichen Verkehr anreist, einen Preisnachlass von zehn Prozent.
Ein Projekt der NaturFreunde NRW „NahTour – Erlebnisse vor Ort“ möchte Naturfreundehäuser in NRW als Ziele des klimafreundlichen Nahtourismus fördern und stärken. Als neues attraktives Angebot gibt es Naturerlebnisrucksäcke, die vor Ort ausgeliehen werden können.
Jürgen Voges
(Dieser Artikel ist zuerst erschienen im NaturFreunde-Mitgliedermagazin NATURFREUNDiN, Ausgabe 1-24.)