Politischer Protest mit Erlebnischarakter

Wie die hessische Naturfreundejugend zum Startmotor der Ostermärsche wurde

„Kampf dem Atomtod“-Demonstration der hessischen Naturfreundejugend nach Offenbach (1959).
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„Geht doch nach drüben!“ Das waren noch die nettesten Zurufe von Passanten, wenn sich in den 1960er-Jahren die großen Ostermärsche vier Tage lang über Landstraßen quälten.

Angefangen hatte alles ganz klein – im Jahr 1959 mit einem 20-Kilometer-Marsch nach Offenbach. Der Protest richtete sich gegen die geplante Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen und wurde organisiert von der Leitung der hessischen Naturfreundejugend. 1961 folgte der erste große Marsch von Miltenberg nach Frankfurt und im Jahr 1962 von Gießen nach Frankfurt – jetzt schon vier Tage lang. Bundesweit kamen damals 50.000 Menschen zusammen.

Dass diese Bewegung in Hessen ihren Anfang nahm, hatte Gründe: Die Offenbacher Geschäftsstelle der hessischen Naturfreundejugend bildete eine Bürogemeinschaft mit dem neugegründeten Verband der Kriegsdienstverweigerer, dessen Sekretär der langjährige hessische Naturfreundejugendleiter Klaus Vack wurde. Das gemeinsame Büro entwickelte sich zum Organisationsmittelpunkt der hessischen Ostermärsche mit der Naturfreundejugend Hessen als wesentlichem Motor. Auch der Zentrale Ausschuss der Ostermärsche hatte später seinen Sitz in diesem Büro.

Die „Kampf dem Atomtod“-Kampagne

Und es gab noch einen anderen Grund: Bis zum Jahr 1959 hatten sich SPD und Gewerkschaften stark gegen die Remilitarisierung der Bundeswehr ausgesprochen und maßgeblich in der „Kampf dem Atomtod“-Kampagne engagiert. Mit dem Godesberger Programm kehrte sich diese Haltung ins Gegenteil, die Märsche wurden boykottiert.

Die nun von SPD, Gewerkschaften und Falken hinterlassene Leerstelle in der Organisation wurde von der seit ihrer Gründung antimilitaristischen Naturfreundejugend gerne gefüllt. Die NaturFreunde selbst hingegen warteten ab. Während der Bundesausschuss der Jugend zum Ostermarsch aufrief und auch Bundesjugendleiter Herbert Faller in den Zentralen Ausschuss ging, rang sich der Bundesausschuss der NaturFreunde gerade so zu einer Tolerierung durch. Die Jugend möge sich gewaltfrei und ordentlich verhalten, lautete der Appell.

Ein politischer Jungbrunnen für die Naturfreundejugend

Für die Naturfreundejugend wurden die Ostermärsche zu einem politischen Jungbrunnen. Man war Teil einer internationalen Bewegung und verband eine positive politische Haltung mit touristischen und kulturellen Elementen. Profitieren konnte die Jugend dabei von ihren „kulturellen und touristischen Wettbewerben“, deren Mischung aus Kultur und Erlebnistourismus genau zur politischen Erlebnisform der Ostermärsche passte.

Die viertägigen Märsche forderten körperlich, waren Erlebnis und Leistung, aber auch großer Spaß. Man sammelte Unterschriften, diskutierte mit Passanten und stimmte immer wieder die Ostermarsch-Hymnen an. Viele Skiffle- und Songgruppen entstanden, auch beteiligten sich immer mehr Liedermacher und Künstler.

Allerdings setzte die politische Entwicklung die Ostermärsche zunehmend unter Druck: 1963 rüstete die Bundeswehr mit Pershing-Raketen auf, 1965 wurden die Notstandsgesetze verabschiedet, dann die großen Vietnam-Demonstrationen und das Ende des Prager Frühlings.

Hunderttausendebei den Abschlusskundgebungen

Auch wenn sich mittlerweile Hunderttausende Menschen an den Abschlusskundgebungen beteiligten, ging das übergreifende Thema langsam verloren und die Organisation des Ostermarsches zerfiel in unterschiedliche politische Richtungen. Die gesellschaftliche Bedeutung der Ostermärsche der 1960er-Jahre sollte nicht wieder erreicht werden.

Drängender und unmittelbarer sind längst andere Fragen, etwa die ökologische Endlichkeit der Welt, die soziale Ungerechtigkeit und neue Gefahren von rechts. Das macht die heutigen Ostermärsche nicht weniger relevant und auch unsere Teilnahme nicht. Schließlich ist der Frieden wieder in Gefahr.

Doch sollte diese Protestform wieder mehr Erlebniselemente einschließen und stärker positiv formuliert werden, statt nur noch eine bitterernste Demonstration unter vielen zu sein.

Manfred Geiss
Ehemaliger Jugendleiter der Naturfreundejugend Hessen und später Mitglied der Bundesleitung der Naturfreundejugend Deutschlands