EU steht kurz vor Handelspakt mit Südamerika

David Geier, Beauftragter des Bundesvorstands für Freihandelspolitik

© 

Die EU steht kurz vor dem Abschluss eines Handelspakts mit Brasilien und anderen Staaten Südamerikas, der den Bürger_innen kaum bekannt ist. Das Mercosur-Abkommen soll den Import von Fleisch und anderen Lebensmitteln nach Europa erleichtern – und könnte den Schutz der Verbraucher_innen lockern. Das geht aus den geheimen Verhandlungspapieren hervor, die Greenpeace vor wenigen Wochen veröffentlicht hat. 

Die Verhandlungen der Europäischen Union mit Mercosur wurden bereits im Jahr 2000 begonnen. Mercosur wurde im Jahr 1991 durch den Vertrag von Asunción ins Leben gerufen. Mercosur ist die abgekürzte Bezeichnung für Mercado Común del Sur, den „Gemeinsamen Markt Südamerikas“. Die Vollmitglieder des Mercosur sind Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay. Auch Venezuela war ein Vollmitglied, dessen Mitgliedschaft jedoch seit dem 1. Dezember 2016 aufgekündigt wurde. Weiter gehören dem Mercosur als assoziierte Mitglieder Bolivien, Chile, Peru, Kolumbien, Ecuador und Suriname an. Beobachterstatus haben Neuseeland und Mexiko.

Zähe Verhandlungen

Im Jahr 2000 nahmen die Europäische Union und Mercosur Verhandlungen über ein Assoziationsabkommen auf, beruhend auf den drei Säulen politischer Dialog, Kooperation und Handel. Die Verhandlungen gingen jedoch aufgrund großer Differenzen nicht vorwärts und wurden deshalb im Herbst 2004 ausgesetzt. Hauptstreitpunkt war der Zugang für Agrarprodukte aus den Mercosur-Ländern zum Europäischen Markt. Seit Mai 2010 wurden dann die Verhandlungen wiederaufgenommen. Nachdem die USA nach dem Wahlsieg von Donald Trump die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen EU – USA ausgesetzt haben und auch das NAFTA-Abkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko durch die Regierung Trump infrage gestellt wurde, begann die EU-Kommission einen diplomatischen Versuch, die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen der EU mit dem Mercosur deutlich zu beschleunigen.

Am Rande des EU-Lateinamerika-Gipfels im Juni 2015 verständigten sich die EU und die Vertreter_innen des Mercosur darauf, für einen erfolgreichen Abschluss des Abkommens einzutreten, sofern es gelingen würde, eine Übereinkunft bei den strittigen Punkten zu erreichen. Hierbei ging es vor allem um eine Einigung über ein Marktzugangsangebot für Waren, Dienstleistungen, Investitionen und den gegenseitigen Zugang zum öffentlichen Beschaffungswesen. Von Juli bis Oktober 2016 fand eine öffentliche Konsultation der Europäischen Kommission zu den Handelsaspekten des Assoziierungsabkommens statt. Vom 10. bis 14. Oktober 2016 wurde schließlich die erste umfangreiche Verhandlungsrunde seit 2012 abgehalten. Eine weitere Verhandlungsrunde fand im März 2017 statt. Die Verhandlungen sind weit fortgeschritten und sollen noch in diesem Jahr politisch abgeschlossen werden. 

Gefahr der Absenkung von Standards in der EU

Das Mercosur-Abkommen soll den Export von Fleisch und anderen Lebensmitteln nach Europa erleichtern – und könnte den Schutz der Verbraucher_innen in der EU lockern. Das geht aus den geheimen Verhandlungspapieren hervor, die durch Greenpeace veröffentlicht wurden. So will die EU südamerikanische Fleischbetriebe akzeptieren, wenn das Herkunftsland garantiert, das sämtliche Regeln eingehalten worden sind – das wirkt brisant angesichts eines Korruptionsskandals, in den selbst Brasiliens Präsident verwickelt ist.

Viele Standards für den Schutz der Verbraucher_innen sind in südamerikanischen Staaten niedriger als in der EU angesetzt. Die Regeln für den Einsatz von Antibiotika in der Tierzucht etwa sind in Brasilien weit weniger strikt als in der Europäischen Union. Während andere Wachstumsförderer wie die Substanz Ractopamin in der EU verboten sind, dürfen Tierzuchtbetriebe sie in Argentinien und Brasilien einsetzen. In Brasilien zeigte vor einigen Monaten ein Skandal um korrupte Kontrolleur_innen die Schwächen der dortigen Kontrollen: Damals kam verdorbenes Rinderfleisch und gestrecktes Hühnerfleisch in den Handel und teilweise auch in den Export. Die Ausweitung der Weideflächen für Rinder bedroht zudem schützenswerte Wälder und ist für das Klima Gift.

Die EU zeigt sich bereit, laxere Kontrollen der Lebensmittel und bis zu 50 Prozent mehr Fleischimporte aus den Mercosur-Staaten zu akzeptieren, wenn Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay ihrerseits die Zölle für den Import von Autos und Autoteilen aus der EU absenken.

Mercosur-Abkommen wäre größer als CETA

Die von Greenpeace veröffentlichten 171 Seiten umfassen sechs Kapitel des Abkommens. Sie zeigen den Verhandlungsstand aus dem Sommer, haben sich nach Informationen aus Verhandlungskreisen jedoch seither nicht grundlegend verändert. Laut EU-Kommission handelten die EU und die Mercosur-Staaten im Jahr 2016 Waren im Wert von mehr als 80 Milliarden Euro. Damit liegt die wirtschaftliche Bedeutung des Mercosur-Abkommens deutlich höher als die des CETA-Abkommens zwischen Kanada und der EU.

David Geier
Beauftragter des Bundesvorstands für Freihandelspolitik